Die Geschichte der Heiligenstädter Schützengesellschaft von 1905 bis1945
In seiner Festschrift, oder wie er es nannte, Gedenkblatt zur 600-jährigen Feier
des Bestehens der Schützengesellschaft im Jahre 1905, hat der Sanitätsrat Dr.
Werner Martin die Entstehung, Entwicklung und die stadtgeschichtliche Bedeutung
des Heiligenstädter Schützenwesens seit 1305 anschaulich beschrieben.
Uns kommt es darauf an darzustellen, dass auch im Zeitraum 1905 bis zum Beginn
des zweiten Weltkrieges die Schützentradition in Heiligenstadt weiter lebendig
war. Viele Höhepunkte in der Region und darüber hinaus hat die
Schützengesellschaft in dieser Zeit mitgestaltet, bis sie mit dem Ende des
Krieges in die geschichtliche Bedeutungslosigkeit fiel.
Die wichtigste Quelle für die folgende Darstellung ist vor allem die
Heiligenstädter Zeitung als amtlicher Kreisanzeiger in diesem Zeitraum gewesen.
In der Rubrik "Aus der Stadt und dem Eichsfelde" wurden regelmäßig Berichte über
die Schützengesellschaft veröffentlicht. Hierauf haben wir uns gestützt. Jeder
Jahrgang wurde Zeitung für Zeitung gesichtet und die entsprechenden Artikel
zusammengestellt und für diesen Beitrag ausgewählt.
Da wir dem Leitsatz gefolgt sind - wer Geschichte schreiben will, muss sie
zitieren - haben wir auch keine in sich geschlossene Beschreibung der
Entwicklung der Schützengesellschaft in diesem Zeitraum dargestellt, sondern
lassen die jeweiligen Zeitungsartikel in ihrer Originalität für sich sprechen.
Aus den Texten sind für den interessierten Leser sicherlich viele geschichtliche Fakten und
Details zu entnehmen. Natürlich sind viele
Ausdrucksweisen in ihrem geschichtlichen Kontext zu sehen und manche
Formulierung gewinnt uns auch ein kleines Lächeln ab. Aber gerade deshalb
erkennen wir, wie unsere Altvorderen gedacht und die Zeitereignisse
interpretiert haben. Der Aufbau dieses Beitrages ist daher so gewählt, dass die
wichtigsten Schützenereignisse der verschiedenen Jahre zusammengestellt und so
daraus eine Wertung des vielfältigen Vereinslebens der Schützengesellschaft
erfolgen kann.
Zweifellos stand 1905 die 600-Jahr-Feier der Schützengesellschaft vom 01. bis 04. Juli im Mittelpunkt der Berichterstattung und nahm einen großen Raum ein.
Titelblatt der Heiligenstädter Zeitung vom 04. Juli 1905
Am 14. Februar 1905 wird in der Heiligenstädter Zeitung Nr. 19 über die
Schießordnung und das Festprogramm wie folgt informiert:
"Am Freitag abend hatten sich im Rathaussaal die Mitglieder des Schützenvorstandes
sowie die Vorsitzenden der Festausschüsse zu einer gemeinsamen Sitzung
zusammengefunden, um die Schießordnung und den gesamten Festplan in großen
Umrissen festzulegen. Wie wir bereits mitgeteilt haben, sollen 13 Scheiben
aufgestellt werden und zwar 3 Festscheiben, 2 Meisterscheiben, 2 Geldscheiben, 2
Konkurrenzscheiben, 1 Punktscheibe, 2 Glückscheiben und 1 Laufscheibe. Das
Schießen beginnt am Sonntag, den 2. Juli und endet Dienstag, den 4. Juli. Die
Einsätze und Festkarten können bereits vom 15. Mai ab gelöst werden gegen
portofreie Einsendung des Betrages an den Kassierer des Schießausschusses Herrn
Kaufmann Kurtze hier. Nachdem die Schießordnung festgestellt war, wurde auch das
gesamte Festprogramm durchgesprochen und folgender Plan gutgeheißen: Am Vorabend
des Festes, Sonnabend, den 1. Juli, abends 8 Uhr Festkommers zur 600-jährigen
Jubelfeier mit Begrüßung im Schützenhaussaale; Sonntag, den 2. Juli, früh 6 Uhr
Weckruf, von 9 Uhr Vormittags an Empfang der auswärtigen Schützen am Bahnhofe
durch den Empfangsausschuß; von 11 Uhr an Frühschoppenkonzert in der "Brauerei
Heiligenstadt" und Promenadenkonzert in der Lindenallee, 3 Uhr nachmittags
Beginn des Schießens. Nachmittags und abends Konzerte auf den Festplätzen.
Montag, den 3. Juli (Hauptfesttag) früh 6 Uhr Weckruf, 8 bis 11 Uhr Schießen, 12
Uhr historischer Festzug nach dem Schützenhause und 2 Uhr Festessen daselbst.
Bei Ankunft des Festzuges Aufstellung auf dem Festplatze und
Begrüßungsansprache. Von 3 bis 8 Uhr nachmittags wieder Schießen und abends
großes Feuerwerk und Konzerte. 3. Tag: Dienstag, den 4. Juli, morgens wieder
Weckruf, 8 bis 12 Uhr Schießen, mittags zwangloses gemeinsames Essen und darauf
Fortsetzung des Schießens bis abends 7 Uhr. Abends Festball im Saale des
Schützenhauses."
Dass man auch vor 100 Jahren nichts dem Zufall überließ, verdeutlicht der
folgende Ausschnitt aus der Heiligenstädter Zeitung Nr. 21 vom 19. Februar
1905:
"Gestern abend hielt der Platzverwaltungs-Ausschuß eine Sitzung ab. Eine
Zeichnung des Festplatzes war noch nicht zur Hand, deshalb konnte über die
Aufstellung der verschiedenen Buden, wozu Bewerbungen in großer Zahl vorliegen,
eine Bestimmung noch nicht getroffen werden. Der Ausschuß beschränkte sich
darauf, zunächst einige der Bewerbungen zu berücksichtigen. Um eine Übersicht
über den ganzen Plan zu gewinnen, muß erst eine Zeichnung vom Festplatze
angefertigt werden. Bezüglich der Höhe des Platzgeldes ist beschlossen worden,
pro Quadratmeter Flächeninhalt 1 Mark zu fordern. Für die hiesigen Besitzer
kleinerer Kramläden soll die Höhe des Standgeldes von Fall zu Fall festgesetzt
werden. Erfreulicherweise sind von außerhalb schon mehrere freiwillige
Beiträge zu den nicht geringen Unkosten des Jubiläumsfestes eingelaufen."
Gehen wir davon aus, dass der Platzverwaltungsausschuss seine Hausaufgaben
ordentlich erledigt hat und die entsprechende Aufteilung des Festplatzes zu
aller Zufriedenheit vorgenommen hat. Es ist jedenfalls im Weiteren nichts
Gegenteiliges dazu bekannt geworden.
Interessant ist aber in der gleichen Ausgabe vom 19. Februar 1905 eine kleine
Notiz, die nur mittelbar mit der Jubiläumsfeier zu tun hat, für die
Schützengesellschaft aber von großer Bedeutung ist:
"Das Schützenhaus wird morgen Vormittag 11 Uhr im Grundbuche für die Schützengesellschaft
aufgelassen werden. Es ist dies immerhin ein Ereignis in der
Geschichte der Schützengesellschaft, denn bekanntlich hat die unklare Rechtslage
in dem Verhältnis der Schützengesellschaft zur Stadt früher auf die freie
Entfaltung der Gesellschaft hemmend gewirkt. Nachdem alle früheren Hindernisse
nunmehr beseitigt sind, wird hoffentlich kein Wermutstropfen in den
Freudenbecher des bevorstehenden Jubelfestes fallen."
Das Schützenhaus 1926 mit Schießhallen und Festwiese an der Stelle des heutigen Gesundbrunnenstadions
Warum dies so wichtig war, zeigt der Bericht des Stadtverordneten Lorentz an den
Magistrat "Vorschläge über die Gestaltung des Verhältnisses der Heiligenstädter
Schützengesellschaft zur Stadt Heiligenstadt", veröffentlicht in der
Halbmonatsschrift zur Heiligenstädter Zeitung "Aus der Heimat" Nr. 14 vom 01.
Februar 1903. Der Stadtverordnete führt hier akribisch alle Erträge auf, welche
die Schützengesellschaft seit 1820 aus der Verpachtung des Schützenhauses bzw.
des Schützenplatzes gezogen hat. Die jeweilige Pacht und die Standgelder flossen
in die Schützenkasse. Weiter verweist er auf die unterschiedlichsten Zuschüsse
in finanzieller und materieller Form an die Gesellschaft. Kritisch hinterfragt
er die satzungsmäßige Verwendung dieser Erträge und Zuschüsse. Ebenfalls
moniert werden die Darlehen, die vorgestreckt worden sind. Das war seiner Zeit
allerdings unzulässig, weil die Schützengesellschaft nicht rechtsfähig war und
deshalb keine Darlehensschuld aufnehmen konnte.
Tatsache ist aber, dass diese Mittel die Schützengesellschaft damals vor dem
finanziellen Aus bewahrt haben. Das Verhältnis zur Stadt blieb in jener Weise
bis zum Jahre 1904 bestehen. Am 03. Februar 1904 hat auf Antrag der
Schützengesellschaft die gerichtliche Eintragung in das Vereinsregister
stattgefunden. Durch den Magistratsbeschluss vom 01. August 1904 und des Stadtverordneten-Kollegiums
vom 05. August 1904 wurden der Schützengesellschaft der
Schützenplatz mit allen Gebäuden, die bisher unentgeltlich genutzt wurden, als
Eigentum überlassen. Die gerichtliche Auflassung erfolgte dann am 20. Februar
1905. Damit war die Schützengesellschaft freier und selbstständiger geworden,
weil die Beaufsichtigung seitens des Magistrats weggefallen ist. Eine kleine
Anmerkung am Rande: Der ehemalige Schützenplatz befand sich an der Stelle, an
der heute sich das Heiligenstädter Stadion und der danebenliegende Bahndamm
befinden.
Aber zurück zur 600-Jahr-Feier der Schützengesellschaft. Dass dieses Ereignis
nicht nur in Heiligenstadt bzw. dem Eichsfeld die nötige Aufmerksamkeit erhalten
hat, zeigt die folgende Notiz aus der Heiligenstädter Zeitung Nr. 58 vom 18. Mai
1905:
"Zum 600jährigen Jubelfeste der Schützengesellschaft können wir heute einige
Mitteilungen machen, die nicht nur die Mitglieder der Schützengesellschaft,
sondern die gesamte Einwohnerschaft der Stadt aufs höchste erfreuen wird. Se.
Majestät der Kaiser hat die Gnade gehabt, der Schützengesellschaft
Heiligenstadt zu ihrem 600 jährigen Jubiläum einen Schützenadler zu verleihen.
Der aus Gold gefertigte Adler ist bereits hier eingetroffen. Heute ist auch das
Ehrengeschenk Sr. Kaiserl. und Königl. Hoheit des Kronprinzen, ein herrlicher
silberner Pokal, aus dem Hofmarschallamte des Kronprinzen aus Potsdam beim
Vorstande der Schützengesellschaft hier eingetroffen."
Das waren nach dem damaligen Selbstverständnis die wichtigsten Ehrengeschenke
zum Jubiläum. In den nachfolgenden Wochen sind aber aus vielen Richtungen noch
diverse Ehrengeschenke eingetroffen. Natürlich war das auch ein Zeichen für die
starke Verwurzelung der Schützengesellschaft in der Region.
Aus den Zeitschriften vom 01. bis 05. Juli 1905 geht einhellig hervor, dass die
Schützengesellschaft bei herrlichem Wetter ihr Jubiläumsfest gefeiert hat. Wir
wollen uns aber mit den überschwänglichen Schilderungen des Festverlaufs nicht
lange aufhalten, sondern auf den eigentlichen Cheforganisator des Festes
verweisen:
"Der Dienstag brachte die Jubelfeier zum Abschluß. Der letzte Festtag wurde von
den Schützen fleißig ausgenutzt. Von früh 8 bis abends 8 Uhr währte das
Jubiläumsschießen, an dem auch viele auswärtige Schützen teilgenommen haben,
u.a. von Duderstadt, Dingelstädt, Worbis, Bleicherode, Nordhausen, Mühlhausen,
Suhl, Göttingen und Braunschweig. Nachmittags 1 Uhr war zwangloses Mittagsmahl
im Schützenhaussaale, woran sich etwa 50 Schützen beteiligten. Schützenhauptmann
Kellner hieß alle Gäste und Kameraden herzlich willkommen. Er warf einen
Rückblick auf das so gut gelungene und bis jetzt herrlich verlaufene Jubelfest.
Alle hiesigen und auswärtigen Festteilnehmer seien davon hochbefriedigt. Dann
warf der Redner die Frage auf: wem haben wir das gute Gelingen des Jubelfestes
zu verdanken? Die gewählten Ausschüsse haben voll und ganz ihre Schuldigkeit
getan, das muß rühmlichst anerkannt werden. Ich sage den Herren an dieser Stelle
nochmals meinen besten Dank. Vor allem haben wir Herrn Dr. Martin das gute
Gelingen des Festes zu verdanken (allgemeines Bravo). Er war die Seele des
ganzen. Ich fühle das Bedürfnis, diesem Herren für seine Ausdauer und die
geschickte Leitung hier öffentlich meinen Dank auszusprechen." (Heiligenstädter
Zeitung vom 05. Juli 1905)
Genannt werden in dieser Ausgabe vom 05. Juli 1905 ebenfalls die Schützen, die
wertvolle Trophäen beim Preisschießen errangen:
"Am zweiten Tage errangen die von der Schützengesellschaft gestifteten
Silberpreise: Meisterscheibe Nr. 4: 1. Preis Orgelbauer Krell Duderstadt, 2.
Preis Fabrikant Reinhäckel Suhl, 3. Preis Fabrikant W. Liebau - hier;
Meisterscheibe Nr. 5: 1. Preis Betriebsleiter Kroeger hier, 2. Preis A.
Multhauf hier, 3. Orgelbauer Krell Duderstadt; Punktscheibe Nr. 10: 1. Preis
Fabrikant W. Liebau hier, 2. Preis Inspektor Gunkel hier, 3. Preis Orgelbauer
Krell Duderstadt. Am dritten Tage: Meisterscheibe Nr. 4: 1. Preis
Büchsenmacher Schröter Mühlhausen, 2. Preis Kaufmann Jos. Lurch hier, 3.
Preis Brauereibesitzer A. Weymar Mühlhausen; Meisterscheibe Nr. 5: 1. Preis
Kaufmann Jos. Lurch hier, 2. Preis Goldarbeiter A. Hoese hier, 3. Preis
Seminar-Oekonom Georg Fromm hier; Punktscheibe Nr. 10: 1. Preis Brauereibesitzer
A. Weymar Mühlhausen, 2. Büchsenmacher Schröter Mühlhausen, 3. Preis
Inspektor Gunkel hier. Die Schießergebnisse auf den drei Festscheiben können
erst in einigen Tagen veröffentlicht werden, nachdem der Wert der Ehrenpreise
zahlenmäßig festgestellt ist."
In der Heiligenstädter Zeitung vom 10. Juli 1905 erfolgte dann diese Veröffentlichung, wobei wir bei der Aufzählung der Platzierungen (die Liste geht bis zum 100. Platz) nach dem zehnten Rang aufhören wollen.
"Nachstehend bringen wir die vollständige Liste derjenigen hiesigen und
auswärtigen Schützen, die beim Jubiläums-Schützenfest zu Heiligenstadt die auf
den drei Festscheiben "Kaiser Wilhelm II.", "Kronprinz" und "Heiligenstadt" zum
Ausschießen gekommenen Ehrenpreise errungen haben: 1. Preis Apotheker
Germershausen Duderstadt (elektrische Krone, gestiftet von der Allgemeinen
Elektrizitäts-Gesellschaft), 2. Preis G. Liebau hier (Kronprinzenbecher), 3.
Preis Stadtbaumeister Weymar Heiligenstadt (Etui mit 160 Mk. der Aachener und
Münchener Feuer Vers.-Ges.), 4. Preis Heinrich Gutbier (gold. Remontoiruhr,
Ehrenpreis der Stadt Heiligenstadt), 5. Preis Stadtbaumeister Weymar
Heiligenstadt (Etui mit 70 Mk. der Aachener und Münchener Feuer Vers.-Ges.), 6.
Preis Büchsenmacher Schröter Mühlhausen (silberner Becher, von Herrn Major
a.D. Oskar v. Westernhagen Teistungen), 7. Preis Philipp Linge hier
(silberne Bowle, von Herrn Hauptmann Kellner), 8. Preis Sattlermstr. Ignaz Lurch
hier (elektrische Krone, von der Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft
Berlin), 9. Preis Hermann Müller Göttingen (kupf. Bierservice, aus der
Festkasse), 10. Preis Bernhard Richard hier (gold. Remontoiruhr, von Herrn
Restaurator Aloys Hartung- hier), ..........."
An dieser Stelle sei der Vollständigkeit halber nochmals die Aufstellung des
Festumzuges festgehalten:
"Die Ordnung des Zuges war die programmäßige.
6 Fanfarenbläser zu Pferde. Pagen
I. Staffel
Führer:Schützenhauptmann Kellner
Kapelle des Kurhess. Husaren-Regim. Nr. 14 (Kassel),
Uniformierte Schützencompagnie Heiligenstadt,
Ehrengäste und Ehrenausschuß, Auswärtige Schützenvereine und Einzelschützen,
Schützendeputation,
Magistrat und Stadtverordneten-Kollegium Heiligenstadt.
II. Staffel
Führer: Hauptmann der II. Abteilung Dr. med. Martin
Bocke`sche Musikkapelle,
II. Schützen-Abteilung, Ehrendamen,
Schützen-Festwagen,
Bürgerverein,
Drei Festwagen des Kathol. Gesellenvereins Heiligenstadt, darstellend "Szenen aus der Belagerung von Heiligenstadt im Jahre 1404",
Herolde in mittelalterlicher Tracht.
Erstes Bild.
Bürgermeister und Ratsherren mit zwei Ratsdienern auf einem Wagen.
Schulzen der Nachbargemeinden und Bürger.
Fußvolk
Zweites Bild.
Wachturm der Kirche "Unserer Lieben Frauen" mit dem Turmwart und Stadtmusikus nebst seinen Lehrlingen.
Drittes Bild.
Ritter Lager:
Landgraf Herrmann von Hessen
Landgräfin von Hessen
Markgraf von Meißen
Landgraf von Thüringen
Graf von Wernigerode
Graf von Mansfeld
Minnesänger mit Leier
Ritter zu Pferde.
Herold
Herzog von Lüneburg
Graf Querfurt
Fürst von Braunschweig und Göttingen
Der Stadthauptmann von Heiligenstadt
Ritter Werner von Hanstein
Knappen
Turn-Verein, Feuerwehr,
Festwagen des kath. kaufm. Vereins,
Sonstige Vereine: "Arbeiter-Verein", "Frohe Stunde", "Eintracht".
Reitertruppe.
III. Staffel
Führer: Hauptmann d.R. Brunn.
Breitenbach'sche Musikkapelle,
Kriegerverein Heiligenstadt,
Uniformierte Reiter,
Artillerie-Verein,
Soldaten Verein Kameradschaft,
Auswärtige Kriegervereine."
Damit sind eigentlich die wichtigsten Informationen zu den
Jubiläumsfeierlichkeiten 1905 zusammengefasst. Sie zeigen, dass die
Schützengesellschaft unter der Führung ihres Schützenhauptmanns Kellner und vor
allem ihres hochgelobten Organisators Dr. Werner Martin ein für die Region des
Eichsfeldes wichtiges Ereignis gestaltet hatte. Der Abschluss dieses Kapitels
über das Jubiläum soll aber der Bericht des Finanzausschusses sein, abgedruckt
in der Heiligenstädter Zeitung Nr. 14 vom 03. Februar 1906:
"Herr Dr. Martin, der Vorsitzende des anläßlich der Jubiläumsfeier eingesetzten
Finanzausschusses erstattete darauf den Bericht über den Kassenabschluß des
600jährigen Jubelfestes der Schützengesellschaft. Das Defizit ist
erfreulicherweise nicht so groß, wie bei der glanzvollen Ausgestaltung des
ganzen Festes vielfach erwartet worden ist. Die Einnahmen waren weit höher, als
erwartet wurde, ebenso aber auch die Ausgaben. Der Finanzausschuß hatte von
vornherein mit einem Etat von 5000 Mk. gerechnet. Der Abschluß verzeichnete
eine Gesamt-Einnahme von 6444,47 Mark. Die gesamte Ausgabe beläuft sich auf
6938,91 Mk. Der Abschluß verzeichnet einen Fehlbetrag von 504,44 Mark. Herr Dr.
Martin spendete dem Rendanten, Herrn Kämmerer Montag volles Lob für die
vorzügliche Rechnungslegung und beantragte, dem Rendanten Entlastung zu
erteilen und zu beschließen, daß der Fehlbetrag aus der Schützenkasse gedeckt
wird. Nachdem der Schützenhauptmann Kellner noch einem kurzen Rückblick geworfen
auf das so überaus schön gelungene, alle Erwartungen übertroffene Fest, auf das
unsere Stadt allezeit mit Stolz zurückdenken wird, und noch betonte, daß die
Schützengesellschaft hinsichtlich des Defizits den Gesellschaften in anderen
Städten gegenüber noch glimpflich weggekommen ist, wurde dem Antrage Dr. Martin
auf Dechargierung des Rendanten und Übernahme des Fehlbetrages auf die Schützenkasse einstimmig beigetreten."
Die Heiligenstädter Schützen nahmen in den folgenden Jahren auch an
verschiedenen Jubiläumsschützenfesten in anderen Orten der Region teil. So zum
Beispiel auch 1906 in Bleicherode:
"Beim Jubiläumsschießen in Bleicherode haben unsere Heiligenstädter Schützen die
alte Heiligenstädter Schießkunst wieder glänzend behauptet. Auf der Festscheibe
"Kaiser Wilhelm II" (175 m Auflage) errang den 1. Preis Seminarökonom Georg Fomm
- Heiligenstadt mit 57 Ringen. Auf der Festscheibe "Kronprinz" (175 m Freihand)
blieb Schützenwirt Karl Fütterer Heiligenstadt mit 51 Ringen Drittbester und
Kaufmann Heinrich Wöhrle Heiligenstadt mit 48 Ringen Siebentbester. Auf der
Festscheibe "Bleicherode" (100 m Freihand) fiel wiederum einem Heiligenstädter
Schützen der erste Preis zu, nämlich Schützenwirt Karl Fütterer mit 12 + 11.
Wenn man bedenkt, daß aus zahlreichen auswärtigen Orten Schützen, darunter viele
treffsichere Nordhäuser und Mühlhäuser Schützen, an dem Bleicheröder Jubiläumsschießen
teilgenommen haben, so kann man von "Vorteil" der Heiligenstädter
gewiß nicht sprechen. Die Heiligenstädter Schützen werden ja wohl nun wieder,
wie das schon damals nach dem Duderstädter Jubiläumsschießen der Fall war, als
"Räuber" verschrieen werden. Doch wir nehmen diese Bezeichnung gelassen hin,
denn sie nicht beschimpfend, sondern nur in hohem Grade ehrend für unsere
wackeren Schützen."
(Heiligenstädter Zeitung vom 14. Juli 1906).
1906 unternahm die Schützengesellschaft erhebliche finanzielle Anstrengungen zur Schaffung einer Schützenfestwiese, da der Platz vor dem Schützenhaus nicht Eigentum der Gesellschaft war, sondern sie dort nur "geduldet" wurde. Im ganzen handelte es sich um 5 Morgen Wiesen, die zusammen 6.000 Mark kosten sollten. Ebenfalls wurde ein Erweiterungsbau an der Schießhalle und Erneuerungsarbeiten am Schützenhaus vorgenommen. Für die Durchführung der dem Jubiläumsschützenfest von 1905 folgenden Feste war eine Platzvergrößerung scheinbar unumgänglich geworden.
Antreten vor der Hauptwache am Schützenhaus (Jahr unbekannt)
Stellvertretend für die in den folgenden Jahren stattfindenden Schützenfeste sei
der Ablauf aus dem Jahre 1906 an dieser Stelle festgehalten. In den folgenden
Jahren ist nie wieder eine solch ausführliche und farbige Schilderung des
traditionellen Ablaufes eines "normalen" Schützenfestes in der Presse
erschienen. Zitiert wird aus den Heiligenstädter Zeitungen vom 14. und 17.
August 1906:
"Heiligenstädter Schützenhof. Dies besonders für die Jugend wie elektrisierend
wirkende Wort hat auch in diesem Jahre seine alte Zauberkraft bewahrt. Andere
Zeiten, andere Sitten heißt es zwar, nur auf den Heiligenstädter Schützenhof
findet dieser Satz keine Anwendung. Wie schon Wolf in seiner Geschichte
Heiligenstadts den Schützenhof vor über hundert Jahren schildert, so nach alter
Väter Brauch wird er noch heute gefeiert und der Wandel der Zeit vermag unserem
Schützenfest den Charakter eines allgemeinen Volksfestes nie und nimmer zu
nehmen, weil eben die Stadt, die Stadtbehörde und die ganze Einwohnerschaft mit
der Schützengesellschaft von jeher unzertrennlich verbunden sind. Neuerungen,
die in den letzten Jahren Platz gegriffen haben, sind nur geeignet, dies innige
Verhältnis noch enger zu gestalten und den Glanz des Schützenhofes noch zu
erhöhen. So der Übergang des Schützenhauses in den Besitz der
Schützengesellschaft, wodurch die Gesellschaft eine größere Bewegungsfreiheit
erlangt hat, der Ankauf der Wiesengrundstücke, wodurch unter bedeutenden Opfern
die Gesellschaft einen bequem gelegenen, geräumigen Festplatz geschaffen hat,
der aber noch befestigt werden muß, um den Unbilden der Witterung zu
widerstehen! Dann ist noch die Vermehrung der Scheiben auf 12 und der Bau einer
neuen Schießhalle zu erwähnen, alles Neuerungen, die dem Heiligenstädter
Schützenwesen nicht hinderlich sondern förderlich sind. Unsere Behauptung, daß
das Interesse an der Schützengesellschaft und an den Schützenfesten in allen
Kreisen der Einwohnerschaft noch immer zunimmt, findet ihre Bestätigung durch
die große Beteiligung der Mitglieder der zweiten (nicht uniformierten)
Abteilung am Auszuge in diesem Jahre. Das war wirklich ein glänzender Festzug,
der sich gestern Mittag die Wilhelmstraße hinauf bewegte und mit nicht geringem
Stolze dachten die die Fenster und Bürgersteige füllenden Zuschauer: "Das sind
unsere Heiligenstädter Schützen!" Vorweg die "Kanonen" und eine große
Knabenschar. Welcher echte Heiligenstädter denkt nicht mit einem von Stolz und
Wehmut gemischten Gefühl der schönen Kinderzeit, da auch er vor oder neben den
Kanonen mit marschiert ist?! Dann der Schützenvogel, der anscheinend von Jahr zu
Jahr stattlicher wird. Ja, welche Stadt hat wohl noch einen solchen Künstler im
Vogelschnitzen wie wir aufzuweisen? Man wird ein zweites Exemplar eines solchen
Schützenadlers vergebens suchen. Der Musikkapelle folgte hoch zu Roß der
Hauptmann der 1. Abteilung, geschmückt mit dem goldenen Schützenadler, dem
Ehrengeschenk, mit dem die compagnie gelegentlich ihres sechshundertjährigen Bestehens
im vorigen Jahr von Sr. Maj. dem Kaiser ausgezeichnet wurde. Die
uniformierten Schützen, unsere wackere Bürgerwehr, marschierte wohl in voller
Zahl im Festzuge, auch die zweite Abteilung, deren Hauptmann ebenfalls
voranritt, war, wie eingangs schon erwähnt, in stattlicher Zahl vertreten. Nach
dem Eintreffen des Festzuges auf dem Platze vor dem Schützenhause wurden die
üblichen Böllerschüsse gelöst, die Hauptwache bezogen und der Adler aufgezogen.
Dann entwickelte sich alles nach altem Brauch und Herkommen. Ein großer
Menschenstrom flutete auf die Festplätze, die jetzt sehr geräumig sind. Nur der
untere Platz auf den Wiesen war infolge des Regens der vorhergehenden Tage
leider zu schlüpfrig. Eine große Anzahl Schau- und Verkaufsbuden, Schießbuden,
Karussell etc. machte, besonders bei der jüngeren Generation, daß Maß der
Freuden voll, während die Schützenbrüder in den Schießhallen fleißig ihre
Schießkunst übten. Das Schießen auf den Adler wurde durch die üblichen
Ehrenschüsse eröffnet. Herr Landrat Dr. v. Christen gab je einen Ehrenschuß für
den Landesherrn und für den Kreis Heiligenstadt ab, Herr Bürgermeister Jux
einen Ehrenschuß für die Stadt, Herr Stadtverordnetenvorsteher Dr. Martin für
das Stadtverordnetenkollegium und Herr Hauptmann Kellner für die
Schützencompagnie ab. Letzterer holte ein Stück von der Krone herunter. Vom
Adler wurden am gestrigen ersten Schützenhofstage abgeschossen: Die Krone von
Paul Lurch (Teile der Krone vom Landrat Dr. v. Christen und Schützenhauptmann
Kellner), der Reichsapfel von Paul Lurch, daß Zepter von Feldwebel Kavelke, der
Ring von Phil. Metze, die Fahne vom Kanonier Burghardt. Das Scheibenschießen
drehte sich gestern, abgesehen von den gewöhnlichen Geldpreisen, um die von den
Chargierten der compagnien für die uniformierten gestifteten Preise. Den 1.
Preis (Kaffeeservice) erhielt Gefreiter Gutbier, den 2. Preis (Fruchtschale)
Schütze Heinrich Kruse, den 3. Preis (Visitenkartenschale) Schütze Josef Metze.
Die zahlreichen Schützenfestbesucher aus Stadt und Land vergnügten sich aufs
beste, ein jeder nach seinem Geschmack. Von dem schönen Schützenhausgarten aus,
wo bei den Klängen der Bockeschen Konzertmusik, einem frischen Trunk
Ständerschen Biers und den in diesem Jahre besonders gut geratenen "Sauren
Klebchen", dem Heiligenstädter Nationalgericht, sich so angenehm ruhen läßt,
überblickt man jetzt den ganzen Festplatz, die beiden großen Bierzelte, das
Karussell und die Budenstadt. Besonders am Abend, wo eine ganze Anzahl
elektrischer Bogenlampen den weiten Platz taghell erleuchten, ist dieser Blick
auf das Karussell mit seinem Lichterglanz und auf das bunte Treiben auf dem
Festplatze noch anziehender. Die verschiedenartigste Musik dringt in unser Ohr:
im Garten die einschmeichelnden Melodien der Konzertmusik, vom Saale her der
laute Schall der Tanzmusik und von der Wiese herauf ununterbrochen die Töne der
Orgel des Karussels, dazu das Stimmengewirr aller der nach Hunderten und
Tausenden zählenden Menschen. Und wenn man sich abends ermüdet von den Strapazen
des ersten Festtages auf seinem Lager ausstreckt dann klingt es noch in den
Ohren nach: das ist die Berliner Luft, Luft, Luft ..... Heute, am Montag, früh
war für die Schützencompagnie gemeinschaftlicher Kirchgang in der Altstädter
Kirche. Um 10 Uhr vormittags nahm das Silberschießen seinen Anfang. Der
Wettergott hat es mit unserem Schützenhof wieder gut gemeint, auch der
Wetterprophet der "Heiligenstädter Zeitung" hat Recht behalten, obwohl seinen
Wetterankündigungen diesmal nicht recht getraut wurde. Es wäre ja auch zu schade
gewesen, wenn das Fest verregnet wäre, denn ungewöhnlich viel auswärts wohnende
Heiligenstädter sind diesmal erschienen, um mal wieder nach alter
Heiligenstädter Weise Schützenhof zu feiern. - Beim Silberschießen am heutigen
Vormittag wurde Herr Stadtkämmerer Montag Bester, die beiden folgenden besten
Schützen sind Duderstädter, Viertbester Herr Dr. med. Karl Koppen. Um 1 Uhr
begann das Festessen, an dem ca. 100 Schützen sich beteiligten. Bei dem Essen
wurde noch einem der ältesten Mitglieder der Schützengesellschaft eine Ehrung
zuteil: Herr Kürschner Georg Lurch wurde wegen 50jähriger Mitgliedschaft zum
Ehrenmitgliede der Gesellschaft proklamiert. Am Dienstag früh war Kirchgang in
der Neustädter Pfarrkirche und darauf das übliche Zwiebelkuchenessen im
Rathaussaale. Nachmittags 2 Uhr erfolgte unter klingendem Spiel der Auszug der
Schützen zum Königschießen. Bis zum Abend wurde eifrig geschossen. Den besten
Schuß auf dem Hauptstande gab der Schütze Zimmermann Joh. Senge ab. Senge, der
mit diesem Schuß ins Zentrum den überhaupt ersten Gewehrschuß in seinem Leben
abgegeben hat (!) erhielt das halbe Gebrau und errang damit die Würde des
Schützenkönigs."
Ehrenzeichenträger des Schützenfestes von 1910
Die folgenden Schützenfeste unterscheiden sich, wie man den jährlichen
Schilderungen entnehmen kann, nicht wesentlich in ihrem Ablauf.
Das Vereinsleben war in den Folgejahren geprägt vom Erhalt und Ausbau der
Schießstände bzw. des Schützenplatzes. Vor allem der Bau des Eisenbahndammes
machte dem Vorstand keine geringen Sorgen. Die Heiligenstädter Zeitung Nr. 131
vermerkte am 08. Juni 1912 dazu folgende Aktivitäten:
"Die Heiligenstädter Schützengesellschaft hielt am Mittwoch im Schützenhause
eine Versammlung ab, die außerordentlich stark besucht war und vom Oberleutnant
Lurch geleitet wurde. Den Bericht über die Rechnungslegung gab Herr Kröger. Die
Einnahmen betrugen 6054,41 Mk., die Ausgaben 5298,46 Mk., so daß ein Bestand von
756 Mk. verbleibt. Einstimmig wurde dem Kassenführer Entlastung erteilt. Die
Verlegung von Röhren in den Wassergraben der Schützenwiese wurde allseitig
anerkannt und deren Ausführung genehmigt. Die Kosten werden sich auf 700 Mk.
belaufen. Sodann gaben der Vorsitzende Oberleutnant Lurch und Herr Sanitätsrat
Dr. Martin einen eingehenden Bericht über die Beseitigung der Laufscheibe und
der Vogelstange infolge des Bahnbaues und über die Schritte, welche von seiten
des Vorstandes betreffs einer Entschädigung unternommen seien. Aus der Mitte der
Versammlung wurde darauf hingewiesen, daß der Schützenverein durch die
Entfernung und Verlegung der genannten Schießstände finanziell stark geschädigt
würde; eine dementsprechende Abfindung sei deshalb dringend notwendig. Die
Versammlung erklärte sich dann mit den Vorarbeiten des Vorstandes betreffs der
Eingaben über eine Abfindung einverstanden und ersucht denselben, die in der
Versammlung vorgebrachten Wünsche bei der Weiterverfolgung der Ansprüche zu
berücksichtigen. Der bisherige Hauptmann, Herr Kellner, gibt durch Schreiben
bekannt, daß sein Gesundheitszustand derart sei, daß er das Amt des Hauptmanns
niederlegen müsse. Er wünsche dem Verein weiteres Wachsen, Blühen und Gedeihen.
Die vorgenommene Wahl ergab, daß der Oberleutnant Lurch zum Hauptmann und
Leutnant Konrad Staender zum Oberleutnant gewählt wurde. Oberleutnant Staender
macht sodann darauf aufmerksam, daß am Feste Auräus und Justinus eine
Ehrenscheibe errichtet werden soll und bittet, für diese Scheibe Ehrenpreise zu
stiften. Letztere Anregung fand freudige Aufnahme, da man hofft, daß auch
verschiedene Bürger von Heiligenstadt Preise stiften werden."
Halten wir also auch fest, dass es 1912 einen Wechsel im Vorsitz der
Schützengesellschaft gegeben hat, nämlich vom langjährigen Hauptmann Kellner zum
Hauptmann Ständer.
Interessant ist auch die Stiftung einer Ehrenscheibe zum Fest der Stadtpatrone.
Damals war die Schützengesellschaft in diesen Festtag sehr stark einbezogen.
Eine Schilderung des Ablaufs aus der Sicht der Schützengesellschaft können wir
aus dem folgenden Artikel des Heiligenstadt Anzeiger Nr. 139 vom 18. Juni 1912
entnehmen:
"Das Fest der Stadtpatrone, der hl. Auräus und Justinus, wurde gestern in
altherkömmlicher Weise begangen. Eingeleitet wurde die Feier am Vorabend mit
einem Konzert im Schützenhause, worauf dann gegen 10 Uhr der Einzug der
uniformierten Schützencompagnie in die Stadt erfolgte. Gestern morgen 7 Uhr
zogen die Schützen nach Abholung der Fahnen unter klingendem Spiel zum
Gottesdienste in der Neustädter Pfarrkirche, von wo nach Beendigung desselben
die Prozession ihren Ausgang um die Stadt nahm. Wegen des einsetzenden Regens
und Windes musste die Prozession abgekürzt werden, so daß nach Verlesung des 3.
Evangeliums und dem Segen der Rückzug zur Neustädter Pfarrkirche angetreten
wurde, wo sich die Prozession auflöste, worauf ein Levitenamt abgehalten wurde.
Nach Beendigung des Gottesdienstes versammelten sich die Schützen im Garten der
Vereinsbrauerei, wo die Bocke`sche Kapelle konzertierte. Nachmittags 3 Uhr
zogen die Schützen von dem Denkmal in der Lindenallee nach dem Schützenhause,
woselbst, wie alljährlich, Vogel- und Scheibenschießen abgehalten wurde und das
in diesem Jahre eine besondere Anziehungskraft auf die Schützenbrüder dadurch
ausübte, als extra eine Festscheibe mit Ehrengewinnen, die Freunde und Gönner
der Schützengesellschaft gestiftet hatten, eingerichtet war. Es kamen auf der
Festscheibe im ganzen 57 Ehrenpreise (darunter waren recht wertvolle und
sinnreiche Gaben vertreten) und 20 Geldgewinne zur Verteilung. Die Haupt-Gewinne
entfielen auf folgende Herren: 1. Zigarrenarbeiter Michael Kapelle; 2.
Handelsmann Heinrich Jakob; 3. Gastwirt Joseph Dunkel; 4. Schneidermeister
August Linge; 5. Brauereibesitzer Wilhelm Staender; 6. Rentier Joh. Dröder; 7.
Friedhofsgärtner Konrad Monecke; 8. Stadtgärtner Philipp Flucke. Die Teilnahme
der Bevölkerung an diesem sonst für Heiligenstadt volkstümlichen Feste war
gestern Nachmittag infolge der heftigen Regengüsse, die unausgesetzt
niedergingen, eine geringe. Mit einem Ball für die Mitglieder der Schützengesellschaft
am Abend fand der Festtag seinen Abschluß."
Zum letzten Mal wurde vor Beginn des ersten Weltkrieges der Heiligenstädter
Schützenhof 1913 gefeiert, um dann 1914 bis 1918 gänzlich auszufallen.
1915 hatte sich auch die Schützengesellschaft der allgemeinen Militarisierung
der Bevölkerung während des ersten Weltkrieges nicht entzogen. In der
Heiligenstädter Zeitung Nr. 211 vom 09. September 1915 ist unter der Überschrift
"Der Eiserne Vogel in Heiligenstadt" zu lesen, dass der Mobilmachungsausschuss
am 08. September alle Heiligenstädter Vereinsvorstände zu einer Versammlung in
den Reichshof eingeladen hat. Konkret ging es dabei um die Durchführung eines
Festzuges anlässlich der sog. Nagelung des Schützenvogels. Die
Schützengesellschaft hatte, wie es heißt, den Schützenvogel des ausgefallenen
Schützenhofes 1914 bereitwillig kostenfrei hergegeben. Der Vorsitzende des
Mobilmachungsausschusses, Oberlehrer Dr. Metzner, führte dazu aus: "Dadurch sei
der Stadt und auch dem Kreis Heiligenstadt die Nagelung eines Symbols
ermöglicht, daß in seiner Eigenschaft auch für spätere Zeiten die Erinnerung an
Deutschlands blutige eiserne Zeit wach zu halten geeignet ist."
Wie die Nagelung durchgeführt wurde und welchen angeblichen Sinn sie hatte, erfahren wir
dann in den nachfolgenden Zeilen: "Auf dem Festplatze verkaufen die Ehrendamen
die Nägel. In ein goldenes Buch trägt jeder der Teilnehmer seinen Namen ein,
damit auch der Nachwelt die Namen derjenigen erhalten bleiben, welche einen
Nagel gestiftet haben. Auf dem Korpus des Vogels bleibt ein Teil in Form eines
eisernen Kreuzes frei, um den Kriegern aus Stadt und Kreis Heiligenstadt nach
dem Feldzuge Gelegenheit zu geben, noch einen Nagel hier einzuschlagen. Auch für
diejenigen, welche auf dem Felde der Ehre gefallen sind, wird ein Nagel hier
eingeschlagen."
Angeblich soll der Schützenvogel Platz für 10.000 Nägel,
darunter goldene und silberne, geboten haben. Wer die eigenartige Idee hatte,
gerade den Schützenvogel "als das schönste Stück des altbeliebten
Heiligenstädter Schützenfestes" zur Nagelung zu bestimmen, ist nicht
überliefert. Aus den nachfolgenden Zeitschriften ist auch nicht weiter zu
entnehmen, ob "der Anblick des später vollständig benagelten Schützenvogels von
durchaus künstlerischer Wirkung" war "sodaß derselbe seiner Bestimmung nach dem
Schützenhofsaal zu einer hervorragenden Zierde" gereicht hat. Manche Dinge
fallen eben zurecht der Vergessenheit anheim.
Der Heiligenstädter Schützenvogel war immer ein Schmuckstück von beeindruckenden Ausmaßen. Josef Dellemann (hier 1930) fertigte den Vogel viele Jahre selbst an, zusammen mit Ignaz Poppe, der Zepter, Krone und Reichsapfel drechselte
Erst 1919 erscheinen in der Heiligenstädter Zeitung wieder Berichte über das
Heiligenstädter Schützenfest. Allerdings hat das Ergebnis des ersten Weltkrieges
auch hier Wirkung gezeigt, wie ein entsprechender Artikel vom 12. August
beschreibt:
"In diesem Jahre, nachdem auch die Schützenbrüder aus dem Felde heimgekehrt
sind, soweit sie nicht der grüne Rasen deckt oder noch in Gefangenschaft
schmachten, herrschte wieder frohes Leben auf dem Schützenplatz. Die "Sauren
Klebchen" und der Schützeneinzug am Vorabend fehlten auf dem Programm, auch die
frische Brat-, Gar- und Leberwurst; Gänse- und andere Braten suchten die
"Schmeckschnützchen" vergeblich und bei dem heutigen Dünnbier kann man auch
nicht singen und auch nicht fröhlich sein, wie es vom Weine heißt, der auf
Schlesiens Bergen wächst. Nichtsdestotrotz: es war sonst ein richtiggehendes
Schützenfest mit Festauszug, wobei man eine Verjüngung und Vermehrung der
uniformierten compagnie wahrnehmen konnte, mit Schützenvogel, Böllerkrachen,
Karussell und allerhand Schau- und Verkaufsbuden auf der Schützenwiese."
In den folgenden Jahren gewinnen die Schützenhöfe bzw. Schützenfeste, wie sie
jetzt in der Presse genannt werden, allerdings wieder ihren alten Glanz zurück.
1923 wird das Schützenfest zum erstenmal am dritten Juli-Sonntag, statt wie
bisher am zweiten August-Sonntag gefeiert. Schützenhauptmann Ständer löst den
seit Beginn des ersten Weltkrieges amtierenden Hauptmann Lurch wieder ab.
Am 15. Juli 1925 zitiert die Heiligenstädter Zeitung Nr. 162 anlässlich des 50.
Jahrestages des Frühstücks zum Schützenfest der Schützengesellschaft aus der
Rede des Schützenhauptmanns Ständer, die einige interessante Fakten enthält:
"Die Reihe der Festtoaste eröffnete Herr Schützenhauptmann Ständer. Er
erledigte sich des Auftrages, die Gäste der Festtafel, besonders die Spitzen der
Behörden, namentlich die die Herren Landrat Dr. v. Christen und Bürgermeister
Wolters, herzlich zu begrüßen. Ein besonders warmes Willkommenswort widmete er
dem Ehrensenior der Gesellschaft, Herrn Schützenmajor Wöhrle. Die
Schützengesellschaft habe dem alten Herrn stets am Herzen gelegen und viele
Gaben seien ihm zu verdanken. Wenn die uniformierte Abteilung auf der Höhe
geblieben sei, auf die sie unter seiner Leitung gelangt war, so sei es ihm an
erster Stelle zu verdanken. Des Redners Gruß galt sodann den Herren vom
hiesigen Offiziersbund, sowie den drei Vertretern des Kyffhäuserbundes, den
Herren Hartung, Büchner und Wagner. Die Schützengesellschaft schulde denselben
warmen Dank auch für den schönen Pokal, den sie als Preis gestiftet haben. Auch
den Herren von den Schützenvereinen Bleicherode, Worbis und Eschwege rufe er
ein warmes Willkommen entgegen. Ihr Erscheinen sei der Beweis dafür, daß alle
Schützenvereine gewillt seien, miteinander in engster Fühlung zu treten. Die
Behörden ständen der Schützengesellschaft auch heute, wie in der Vergangenheit,
wohlwollend gegenüber, eingedenk der Tatsache, daß die frühere Bürgerwehr und
jetzige Schützengesellschaft gegründet sei zum Schutze der Stadt und zur
Förderung des vaterländischen Gedankens. Der Redner erinnerte an die Beteiligung
des Vereins am Bundesschießen zu Greußen, wo die hiesigen Schützen soviel Ehre
einlegten, daß man noch heute anerkenne, daß Heiligenstadts Schützen an der
Spitze ständen."
1926 fand erstmalig das Kyffhäuser Bundesschießen in Heiligenstadt statt. Am 19.
Januar berichtete die Heiligenstädter Zeitung vom Verbandstag in Heiligenstadt:
"Der Kyffhäuserschützenbund hielt gestern im Schützenhaus seinen diesjährigen
Verbandstag ab. Zu diesem waren außer den Vorstandsmitgliedern der hiesigen
Schützengesellschaft 28 Delegierte von 10 Verbandsvereinen erschienen. Selbst
von Sangerhausen, Allstedt usw. waren die Delegierten gekommen, insbesondere, da
in diesem Jahre das Bundesschießen hier abgehalten werden soll, und ferner, um
sich von den guten Schießständen, welche Heiligenstadt aufzuweisen hat, zu
überzeugen. Uneingeschränkt gaben alle Delegierten ihre volle Anerkennung über
die Einrichtung im Schützenhause. Auch die Küche des Schützenwirts Stitz zeigte
wieder, daß die Schützen dort gut aufgehoben sind. .... Punkt 11 Uhr eröffnete
der Bundesvorsitzende Hartung - Nordhausen den Verbandstag mit einer herzlichen
Begrüßungsrede. Aus dem Jahresbericht ist zu entnehmen, daß 15 Schützenvereine
dem Verbande angehören. .... Der Schützenverein Worbis wurde mit 100 Mitgliedern
einstimmig in den Verband aufgenommen. Der Schützenhauptmann Beier - Worbis
dankte für die einstimmige Aufnahme und wies darauf hin, daß der Verein Worbis
im Juni dieses Jahres sein 350jähriges Bestehen feiere. Alle Schützenbrüder
sollten zu diesem Feste erscheinen, denn in Worbis finden sie was sie als
Schützen wollen. Auch der Freihandclub der Schützengilde Bleicherode wurde
einstimmig in den Verband aufgenommen."
Im Ergebnis des Verbandstages wurde festgelegt, das 5. Bundesschießen in der
Zeit vom 26. bis 28. Juni 1926 in Heiligenstadt durchzuführen. Dazu sollten 12
Schießstände und 2 Pistolenstände zum Bundesschießen freigegeben werden.
Pünktlich zu diesem Ereignis wurden auch die Um- und Neubauten am und um das
Schützenhaus vollendet. Die Heiligenstädter Zeitung berichtet am 27. April 1926
wie folgt:
"Die Schützengesellschaft hielt am Sonnabend im Schützenhause unter Vorsitz des
Herrn Hauptmanns Ständer eine Generalversammlung ab, wohl die bestbesuchte seit
dem Kriege. Der große Um- und Neubau hatte eben viele Schützenbrüder veranlasst,
zur Generalversammlung zu kommen. Allgemein begrüßt wurde, daß durch den Umbau
nun endlich ein großes Vereins- und Gastzimmer geschaffen ist, welches über 100
Personen Platz bietet. Mutter Stitz hat eine neue große Küche bekommen, damit
sie allen Anforderungen gerecht werden kann. Der Wirtschaftsgarten hat eine
bedeutende Vergrößerung erfahren. Leider ist die eichene Bank und der Tisch,
welche von unseren Vorfahren schon gebraucht wurden und im Volksmunde den
Ausdruck "Lügenbank" hatte, verschwunden. Diese alte Erbstück der
Schützengesellschaft muß unbedingt erhalten werden. Gern saßen an diesem Tisch
die zum Schützenfeste erschienenen auswärts wohnenden Heiligenstädter, weil von
hier aus der ganze Garten übersehen werden konnte, und man auch direkt an der
"Bierquelle" saß. Der Saal hat dadurch, daß das Offizierzimmer, die Waschküche
und das Saalbüffett verschwunden sind, eine bedeutende Vergrößerung erfahren.
Nun ist alles für das Bundesschießen vorbereitet."
Grußpostkarte vom Kyffhäuser-Bundesschießen 1926
Samstag, der 27. Juni 1926, diente der Begrüßung der auswärtigen Schützen. Mit den Nachmittagszügen trafen der Bundesvorstand aus Nordhausen mit der Bundesfahne, sowie die Schützengesellschaft Nordhausen ein. Ebenfalls die Schützen aus Sangerhausen und Salza, die teils in Gasthöfen, teils in Privatquartieren untergebracht wurden. Die Wohnungskarten wurden bis abends 21.00 Uhr im "Reichshof" ausgegeben. Um 20.00 Uhr trafen sich die Heiligenstädter und auswärtigen Schützen im Schützenhaus. Dort gab es natürlich das damalige Eichsfelder Nationalgericht "Saure Klebchen" und Bratwürste in ausreichender Menge. Gegen 21.00 Uhr fand dann im festlich geschmückten Schützenhofsaal die Begrüßungsfeier statt, auf der dann Sanitätsrat Dr. Martin die Begrüßungsrede hielt. Am leider verregneten Sonntag wurde zünftig mit Böllerschüssen als Weckruf das Treffen eröffnet. Mit allen Vormittagszügen kamen dann die Mitglieder der anderen auswärtigen Schützengesellschaften an. Sie wurden am Bahnhof herzlich empfangen und in die Stadt geleitet. Um 14.00 Uhr begann der Festzug in der Lindenallee durch die festlich geschmückten Heiligenstädter Straßen bis zum Schützenhaus. Unter den etwa 800 auswärtigen Schützen war Dingelstädt in der stärksten Beteiligung erschienen. Anschließend begannen die Schießwettkämpfe in den einzelnen Schützenhallen. Am Montag begann schon um 8.00 Uhr das Preisschießen auf allen Ständen, wo allerdings wie man sagte, den fremden Schützen die Plätze überlassen wurde. Um 13.00 Uhr begann dann ein Festessen mit ca. 150 geladenen Gästen mit allerlei Festreden. Nachdem am Nachmittag das Schießen fortgesetzt wurde, wurde ab 20.30 Uhr die Gesamtversammlung der Vertreter des Kyffhäuserbundes abgehalten. In dieser Versammlung wurde ebenfalls der Schützenverein Dingelstädt und die Schützengilde Langensalza in den Bund aufgenommen.
Ehrenzeichenträger des Schützenfestes von 1929 hintere Reihe stehend, v. l.: Richardt, Gasdorf, Poppe, Lurch, Rott, Lendeckel sitzend, v. l.: Kintscher, Hptm. Ständer, Obltn. Zehrt, Schönefeld in der Mitte stehend: Schützenkönig Josef Dellemann vorn sitzend die Kinder: Franz Kühne, Fredi Dellemann und Hanskarl Zehrt
In den folgenden Jahren wurde jedes Jahr das Heiligenstädter
Schützengesellschaft, wie aus den zeitgenössischen Chroniken zu entnehmen ist,
nach althergekommener Tradition gefeiert.
Mit der Machtergreifung der NSDAP 1933 wurde immer stärker versucht, das
Schützenwesen und seine Vereinigungen den militärischen Zielen des
faschistischen Regimes unterzuordnen. Aus den Heiligenstädter Zeitungen dieser
Zeit lässt sich allerdings auch herauslesen, dass Vorstandsmitglieder der
Eichsfelder Schützengesellschaften diesen verführerischen Parolen teilweise
durchaus wohlwollend gegenüberstanden. Gleichzeitig wird in dieser Zeit aber
auch über den fehlenden Zuwachs in den Schützenvereinen geklagt und die Hoffnung
genährt, dass die fortschreitende Militarisierung der Gesellschaft und die damit
einhergehende Gleichschaltung aller Institutionen, so auch der
Mitgliedergewinnung in den Schützenvereinigungen zum Vorteil gereichen könnte.
Palmsonntag in Heiligenstadt 1935 v.l. Oberleutnant Ludwig Zehrt, Hauptmann Konrad Ständer, Oberfeldwebel Kindler
Die Berichterstattungen über die Schützenfeste in der zweiten Hälfte der
dreißiger Jahre sind recht einförmig und lassen die farbige Schilderung früherer
Feste vermissen. Auch der Umfang der Berichte hat stark nachgelassen. Statt
dessen sind die Artikel mit "völkischem" Gehabe und Deutschtümelei überladen,
und manch sog. Kreisleiter referiert schwülstig über Sinn und Zweckmäßigkeit von
Schützenfesten. Die Verfasser dieses Beitrages ersparen dem heutigen Leser die
Wiederholung dieser "journalistischen Kostbarkeiten".
Das Schützenfest 1940 verläuft dann schon recht einfach. Man hat auf einen
äußeren Rahmen verzichtet und sich nur noch auf das Schießen konzentriert. Auch
der sonst sehr umfangreiche Vergnügungspark war sehr zusammengeschrumpft. Das
sog. zweite Kriegschützenfest 1941 beschränkte sich nur noch auf einen
Kameradschaftsabend und die Schießwettbewerbe. 1942 bis 1944 fanden nur noch
Schießübungen und das Vogelschießen statt.
Mit dem Ende des zweiten Weltkrieges 1945 hat auch die Geschichte der alten und
traditionsreichen Heiligenstädter Schützengesellschaft ihren Abschluss
gefunden. Über dieses Ende, die Auflösung und vor allem den Verbleib der vielen
historisch interessanten Utensilien aus dem Schützenhaus der Gesellschaft gibt
es nur wage Berichte und Spekulationen.
Es sollte noch weitere 45 Jahre dauern, bis die Heiligenstädter
Schützengesellschaft 1990 wieder aus der Taufe gehoben wurde.
Die Entwicklung des Schießsportes in Heiligenstadt im Zeitraum 1945 - 1989
Mit der Kapitulation der deutschen Wehrmacht am 08. Mai 1945 und dem Einmarsch
der amerikanischen Truppen am 09. April 1945 in Heiligenstadt, atmeten die
Bürger, wie überall, endlich auf. In viele Familien waren Trauer, Not und Leid
eingekehrt.
In Heiligenstadt wurden nach dem Zusammenbruch der Hitlerdiktatur ca. 3.000
Verwundete in acht eingerichteten Lazaretten versorgt. Auch das Schützenhaus
wurde dazu umfunktioniert. Zusätzlich musste die Stadt eine ständig steigende
Anzahl von Flüchtlingen aufnehmen. Viele Züge, die aus Osten mit Rückkehrern
eingesetzt wurden, hatten das Ziel Heiligenstadt. In den sechs Auffanglagern,
eines davon war ebenfalls das Schützenhaus, wurden bis Ende 1945 157.380
Rückkehrer versorgt. Die Stadt Heiligenstadt wuchs auf ca. 18.000 Einwohner.
Durch die Wirren der damaligen Zeit ist es nicht verwunderlich, dass die
Vereinsfahne der Heiligenstädter Schützengesellschaft und viele andere,
traditionelle und wertvolle Gegenstände verschwunden sind. Obwohl noch Anfang
1945 Aktivitäten einiger Schützenbrüder getätigt wurden. Zum Glück waren die
wertvollen Schützenketten nicht im Schützenhaus eingelagert. Der Verbleib dieser
Ketten wird später beschrieben.
Bereits von den amerikanischen Truppen wurde verlangt, dass alle in Privatbesitz
befindlichen Waffen abzugeben waren. Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges war
es als selbstverständlich anzusehen, dass alle schießsportlichen Aktivitäten
von den Alliierten untersagt wurden. Da auch kein Vereinsleben vorhanden war,
verfielen die Schießsportanlagen mit den Jahren zunehmend. Die Menschen hatten
andere Sorgen. Auch das Heiligenstädter Schützenhaus wurde für andere Zwecke
genutzt.
Erst nach der Gründung der beiden deutschen Staaten wurde in der DDR mit dem
Sportschießen neu begonnen. Angefangen wurde unter dem Dach der Freien
Deutschen Jugend (FDJ) mit dem Luftgewehrschießen. Im Mittelpunkt standen dabei
Pokalwettkämpfe der FDJ, des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB), sowie
anderer Organisationen und volkseigener Betriebe. Diese Möglichkeiten des
Sportschießens wurden nach und nach durch andere staatliche Organisationen
erweitert: der Sportclub Dynamo (Deutsche Volkspolizei), der Armeesportklub
(ASK) der nationalen Volksarmee und vor allem die Gesellschaft für Sport und
Technik (GST). In allen Kreisen und Gemeinden der DDR galten die gleichen
Vorschriften und Richtlinien für die Ausrichtung des Schießsports. Der Ablauf
gestaltete sich allerdings unterschiedlich. Gründe dafür waren die
unterschiedlichen materiellen Voraussetzungen in den Städten, Gemeinden und
Betrieben, das Vorhandensein von nutzbaren Schießständen, sowie, gerade im Kreis
Heiligenstadt, die nahe Grenze zur Bundesrepublik mit ihrem Sperrgebiet und
allen damit in Zusammenhang stehenden Einschränkungen für die Bürger.
Nach der Gründung der GST im Jahr 1952 begann auch das Sportschießen in
Heiligenstadt ab 1953 unter diesem Dach. Ziel war dabei das Angebot einer
sportlichen Freizeitbetätigung, aber auch wehrpolitische Überlegungen. Dabei gab
es zwei Richtungen: Zum einen Massenwettkämpfe vor allem im Luftgewehrbereich
als Pokalwettkämpfe zwischen verschiedenen staatlicher Institutionen, aber auch
zu besonderen Gedenktagen. Zum anderen Leistungswettkämpfe im Luftdruck- und
Kleinkaliberbereich mit Lang- und Kurzwaffen.
Eine unbedingte Voraussetzung der Teilnahme am Sportschießen war die
Mitgliedschaft in einer der Grundorganisationen der GST. Diese
Grundorganisationen gab es in den großen volkseigenen Betrieben, staatlichen
Institutionen, aber auch in verschiedenen Wohnbezirken der Stadt. Der Beitrag
betrug für Jugendliche 1,- Mark und für Erwachsene 3,- Mark im Vierteljahr. In
diesem Beitrag war die Sportversicherung und der kostenlose Sportwaffengebrauch
einschließlich Munition enthalten. Trainiert wurde das Kleinkaliberschießen auf
den zugelassenen Schießständen unter der Aufsicht ausgebildeter Schießleiter,
bzw. das Schießen mit Luftdruckwaffen in geschlossenen Räumen mit den
entsprechenden Übungsleitern. Dieses Schießen erfolgte nach exakt
ausgearbeiteten Trainingsplänen. Die Kleinkalibergewehre wurden dabei zentral
unter Verschluß gelagert, konnten aber jeder Zeit von den Schießleitern
ausgeliehen werden. Es wurden hauptsächlich, wie bereits erwähnt,
Pokalwettkämpfe bzw. Meisterschaften ausgeschossen. Diese Meisterschaften waren
in Rundenwettkämpfe in den Städten und Gemeinden, Kreismeisterschaften,
Bezirksmeisterschaften (vergleichbar mit den heutigen Bundesländern) und die
Teilnahme an den DDR-Meisterschaften eingeteilt. Eine weitere wichtige Aufgabe
der GST-Grundorganisationen war die Delegierung besonders förderungswürdiger
Schießsportler in die zentralen Leistungszentren der DDR.
Das Sportschießen wies in Heiligenstadt und im gesamten Kreisgebiet immer eine
große Beteiligung auf. Als Beispiel sei das Jahr 1983 genannt. An den
Kreismeisterschaften nahmen insgesamt 171 Sportschützen im Luftgewehr- und 59
Sportler im Kleinkaliberbereich teil. Davon kamen 73 Teilnehmer aus
Heiligenstadt. Besonders sind hier die Mannschaften der Erweiterten Oberschule,
der Polytechnischen Oberschulen, der Betriebsschule des Kombinates Solidor und
des Bau- und Montagekombinates zu nennen. Auf der Grundlage der Ergebnisse der
Kreismeisterschaften nahmen die besten Sportschützen an den Meisterschaften des
Bezirkes Erfurt teil. Bei diesen Bezirkswettkämpfen der GST belegten die
Sportler aus Heiligenstadt vordere Plätze und wurden Bezirksmeister sowohl in
Einzel- als auch in den Mannschaftsdisziplinen. Genannt werden soll hier der
erfolgreiche Sportschütze Gerhard Weinrich vom Bau- und Montagekombinat
Heiligenstadt und die Mannschaft der Erweiterten Oberschule Heiligenstadt. Eine
vollständige Aufzählung aller Erfolge ist heute nicht mehr möglich. Die
Sportschützen Lars Nebert und Karsten Schwabe von der Erweiterten Oberschule
Heiligenstadt wurden 1984 und 1985 mit der Mannschaft des Bezirkes Erfurt DDR-
Meister im Kleinkaliberschießen.
Diese guten Ergebnisse waren auf die soliden materiellen Bedingungen in
Heiligenstadt und das regelmäßige Training zurückzuführen. Dabei muß erwähnt
werden, dass im Sperrgebiet zur Grenze der BRD im Kreis Heiligenstadt seit 1961
das Kleinkaliberschießen nur in Aus-nahmefällen erlaubt war und die
entsprechenden Sportwaffen in Heiligenstadt gelagert waren. So konnte
allerdings jeder gute Schütze immer auf die gleiche Sportwaffe zurückgreifen.
Die hervorragende Ausbildung im Sportschießen zeigte sich dann auch gleich nach
der Wiedervereinigung bei den Vergleichswettkämpfen mit den Partnervereinen aus
den alten Bundesländern.
Seit den 60er Jahren waren auch wieder Schützenfeste möglich. Sie wurden in den
einzelnen Gemeinden unterschiedlich begangen. Allerdings sollten die Festumzüge
nicht in traditionellen Schützenuniformen durchgeführt werden. In Heiligenstadt
begann man Anfang der 60er Jahre mit einem Schützenfest auf dem Schießplatz nahe
der Gaststätte "Alte Burg". Die Beteiligung der Bevölkerung war mäßig. Einmal
waren die Bedingungen auf dem Platz schlecht, zum anderen war die verkehrstech-
nische Anbindung unzureichend. Darauf wurde nach entsprechender Anschiebung
durch den Kreisvorstand der GST Heiligenstadt ein neuer Schießplatz im
"Pferdebachtal" nahe Heiligenstadt geplant und gebaut. Der Platz befand sich in
der Trägerschaft des Rates des Kreises Heiligenstadt. Damit wurden natürlich die
Bedingungen im Kleinkaliber-Sportschießen erheblich verbessert.
Erst 1987 wurde in Heiligenstadt wieder ein Schützenkönig ermittelt. Diesmal im
Luftgewehrschießen auf dem Marktplatz anlässlich eines Stadtfestes. Der erste
Schützenkönig war Torsten Woik. Neben einer einfachen Schützenkette erhielt er
ein Erinnerungsgeschenk überreicht. Auch in der Nachwuchsklasse und Damenklasse
wurden die Besten ermittelt. 1988 beteiligten sich bereits über 500
Heiligenstädter und Gäste an dem Schützenfest auf dem Marktplatz. Der
Vorjahrssieger wurde in einem offenen PKW abgeholt. Er durfte auch wieder an der
Ermittlung des neuen Meisters teilnehmen. Erst in einem spannenden Stechen
unterlag dann Torsten Woik dem neuen Schützenkönig. Mit 40 von 40 möglichen
Ringen wurde Gerhard Weinrich neuer und letzter Schützenkönig Heiligenstadts vor
der Wende und erhielt die Schützenkette aus den Händen seines Vorgängers. Der
beste im Nachwuchsbereich war Matthias Siegl ebenfalls mit 40 Ringen und bei
den Damen lag Lucia Köhler aus Heiligenstadt mit 39 Ringen vorn.
Der neue Schützenkönig 1988 Gerhard Weinrich nimmt die Glückwünsche vom Vorjahressieger entgegen
1989 wurde auf Grund der sich bereits abzeichnenden politischen Veränderungen kein Schützenkönig mehr ermittelt. 1990 sollte dann das Wiedererstehen und Aufblühen des traditionellen Heiligenstädter Schützenwesens auf der Tagesordnung stehen.