Die Wiedergründung der Heiligenstädter Schützengesellschaft
Eigentlich war es nur eine Frage der Zeit, bis Anfang 1990 die Gründung eines
Schützenvereins in Heiligenstadt wieder auf der Tagesordnung stand. Die mit der
Wende entstandenen neuen Freiräume boten den schießsportinteressierten Bürgern
die Möglichkeit, sich auch auf diesem Gebiet vereinsmäßig zu organisieren.
Am 06. März 1990 fand sich daher in der Thüringer Allgemeinen Zeitung ein
kleiner Zeitungsartikel, in dem über die Kreisfachkommission des Deutschen
Schützenbundes die Bildung eines Schützenvereins in Heiligenstadt angeregt
wurde. Dort hieß es, das sich alle daran interessierten Bürger in der
Geschäftsstelle der Vereinigung technischer Sportverbände in der Ägidienstraße
11 melden sollen. Schützenbruder Dieter Breitenbach, ein langjähriger
erfahrener Übungsleiter im Sportschießen, hatte die Bildung eines
Schützenvereins in Heiligenstadt offiziell angeschoben.
Das Protokoll über die Gründungsversammlung vom 09. April 1990 weist die Bildung
eines geschäftsführenden Vorstandes aus, der sich wie folgt zusammensetzte:
Dieter Breitenbach, Hartwig Lotz, Harald Kraft, Rainer Hartung, Manfred Weiß,
Jürgen Görlach, Gerhard Weinrich, Hans-Jürgen Bemmlott und Gerhard Möller.
Dieser Gründungsvorstand hatte die Aufgabe einen vorläufigen Namen für den
Sportverein festzulegen, einen Satzungsentwurf zu erarbeiten und die erste
Mitgliederversammlung vorzubereiten.
Am 09. Mai 1990 fand im ehemaligen Schützenhaus, der Gaststätte am Stadion, die
Gründungsversammlung des Heiligenstädter Schützenvereins statt. Sinnigerweise
schrieb eine Tageszeitung, das damit die 685-jährige Schützentradition in
Heiligenstadt wieder neu belebt wird und verwies in diesem Zusammenhang
ausdrücklich auf die große 600-Jahrfeier im Jahre 1905. Das Thüringer Tageblatt
sprach gar euphorisch von einer Renaissance des Heiligenstädter Schützenwesens.
Von den 42 Bürgern, die ihr Interesse angemeldet hatten, waren 27 zur ersten
Mitgliederversammlung erschienenen. Diese beschlossen die Gründung des
"Schützenvereins 1905 Heiligenstadt" und zwar in Anlehnung an die Jahreszahl
der damaligen Sechshundertjahrfeier.
Die Mitgliederversammlung wählte den ersten
Vorstand des Schützenvereins, der aus folgenden Mitgliedern bestand: Dieter
Breitenbach (Vorsitzender), Hartwig Lotz (1. Stellvertreter), Harald Kraft
(Rendant) sowie Hans-Jürgen Bemmlott, Jürgen Görlach, Rainer Hartung, Gerhard
Weinrich und Manfred Weiß. Als erster gratulierte Bürgermeister Bernd Beck, der
als Gast an dieser Versammlung teilnahm, dem neugewählten Vorstand und gab
seiner Hoffnung Ausdruck, dass die Schützen das Leben in unserer Stadt zukünftig
wieder mitprägen werden.
Der Vorstand der Schützengesellschaft 1991 (von links nach rechts): Hartwig Lotz (Stellv. Vorsitzender), Harald Kraft (Rendant), Gerald Strauss, Dieter Breitenbach (Vorsitzender), Gerhard Weinrich, Reiner Hartung, Jürgen Görlach, Hans-Jürgen Bemmlott
In der ersten verabschiedeten Satzung heißt es zum Grundanliegen des
Schützenvereins: "Der Verein pflegt und fördert die Schützentradition. Er
organisiert Schützenfeste und ist Stätte familiengebundener Freizeitgestaltung
sowie des geselligen Vereinslebens. Er ist unpolitisch und konfessionell
unabhängig und setzt sich für die Pflege heimatlichen Brauchtums ein." Der
Vorstand erhielt von der Mitgliederversammlung den Auftrag, den neugebildeten
Verein zur Eintragung in das Vereinsregister anzumelden.
Am 08. Juni 1990 erfolgte die Eintragung beim damaligen Kreisgericht Heiligenstadt.
Damit waren eigentlich alle äußerlichen Formalitäten der Gründung des
Heiligenstädter Schützenvereins erfüllt und es galt jetzt den Schießsport
einzurichten und das Vereinsleben entsprechend dem formulierten Satzungszweck zu
gestalten. Von Anfang an war die konzeptionelle Vorgehensweise des Vorstandes
darauf ausgerichtet zwei wesentliche Richtungen anzugehen. Zum einen sollte der
Schießsport für alle interessierten Bürger als eine Möglichkeit der aktiven
Freizeitgestaltung aufgebaut werden, zum anderen sollte aber auch der Pflege des
alten Heiligenstädter Schützenbrauchtums, also der traditionell guten
Verbundenheit mit unserer Stadt, breiten Raum eingeräumt werden. Diesem
Grundsatz hat sich der Vorstand bei allen seinen Entscheidungen in den
vergangenen Jahren immer verpflichtet gefühlt.
Schaut man heute mit dem Abstand der vergangenen 15 Jahre auf dieses zweifellos nicht immer leicht zu
bewältigende Vorhaben zurück, scheint es uns gut gelungen zu sein.
Damals stand vor dem Vorstand aber die Aufgabe dem Schießsport ein festes
Domizil zu geben. Dabei war von vorn herein klar, dass das sportliche Schießen
sich nicht nur auf die Nutzung von Luftdruckwaffen reduzieren sollte, sondern
das auch Klein- und Großkaliberwaffen ihre Berechtigung haben sollten. Als
einzige Örtlichkeit bot sich dafür in Heiligenstadt die Schießanlage im
Pferdebachtal an, die sich zu dieser Zeit noch in der Verwaltung des Rates des
Kreises befand. Am 15. Mai 1990 fand auf dieser Anlage das erste Schießtraining
des Schützenvereins statt.
Es waren recht abenteuerliche Bedingungen unter denen bei gleichzeitiger Wahrung
aller Sicherheitsbestimmungen die ersten Schießübungen durchgeführt wurden. Zur
Verfügung stand ein 50m-Schießstand für das Kleinkaliberschießen aus dem nur im
Liegen geschossen werden konnte und eine 100m-Schießbahn auf dem freien Feld.
Geschossen wurde mit Kleinkaliber-Sportgewehren, die der Schützenverein von der
ehemaligen Gesellschaft für Sport und Technik der DDR übernommen hatte.
Es gehörte eine gehörige Portion Enthusiasmus dazu, sich unter diesen Bedingungen
die zukünftige Entwicklung des Heiligenstädter Schießsports vorzustellen. Aber
gleichzeitig war auch unter allen Mitgliedern eine Aufbruchstimmung zu spüren,
etwas Neues zu schaffen bzw. Bewährtes fortzuführen. Ohne diese Begeisterung
wäre der Aufbau dieser anspruchsvolle Schießsportanlage so wie wir sie heute
vorfinden über die vielen Jahre hinweg nicht möglich gewesen.
Es kam der künftigen Entwicklung des Schießsports in den ersten Jahren sehr zu Gute, dass
die strengen Sicherheitsstandards, wie sie in den alten Bundesländern für
Schießsportanlagen vorgeschrieben waren, durch Ausnahmegenehmigungen für uns
ausgesetzt waren. Ohne diese wäre es nicht machbar gewesen, den Schießsport in
Heiligenstadt aus seinen Kinderschuhen heraus zu entwickeln.
Im Gegensatz zu anderen Eichsfelder Kommunen hatte unser Bürgermeister und der Heiligenstädter
Stadtrat sehr schnell erkannt, dass die Förderung einer vielfältigen
Vereinstätigkeit wesentlich das gesellschaftliche und kulturelle Leben einer
Stadt bereichert. So war es nur ein logischer Schritt, das die Stadt, nachdem
der Grund und Boden der Sportanlage in ihr Eigentum übertragen wurde, dieses
Grundstück dem Schützenverein ab dem 01. Mai 1991 zur Pacht übergab. Damit waren
die äußeren Bedingungen dafür geschaffen worden, den Schießsport in
Heiligenstadt wieder in dem heutigen Umfang zu etablieren.
Bereits in seiner Antrittsrede auf der ersten Mitgliederversammlung ging der
neugewählte Vorsitzende Dieter Breitenbach auf die Traditionen ein, denen sich
der Verein verpflichtet fühlt. Er erinnerte an das große Schützenfest von 1916,
an dem 63 Schützenvereine aus Witzenhausen, Eschwege, Göttingen und Duderstadt
teilnahmen und schlug vor, das erste Schützenfest nach der Wiedergründung im
September 1990 durchzuführen - aber natürlich nicht ganz so groß.
Gleichzeitig mit dem ersten (wenn auch noch ganz kleinen) Heiligenstädter
Stadtfest am Sonntag, den 16. September 1990, fand das erste Schützenfest auf
der Schießsportanlage im Pferdebachtal statt. Es begann ab 13.00 Uhr mit einem
Preisschießen an das sich ab 15.30 Uhr das Königschießens anschloß.
Schon im Vorfeld des Schützenfestes galt es im Vorstand die Entscheidung zu fällen, wie
soll das Königschießen durchgeführt werden? Auf eine Schießscheibe oder auf
einen Schützenvogel? Natürlich nach alter Heiligenstädter Tradition auf einen
hölzernen Schützenvogel auf einer Vogelstange und zwar mit einem
Kleinkalibergewehr.
Also wurde der Schützenvogel durch Dieter Breitenbach aus
einem Brett ausgesägt, zusammengeleimt, angemalt und auf einer 10 Meter hohen
Holzstange in 50 Meter Entfernung angenagelt. Schon nach den ersten
Probeversuchen zeigte sich allerdings, das auch der beste Schütze auf diese
Entfernung und in dieser Höhe den Vogel nicht von seiner Stange herunterschießen
konnte. Eines war aber klar, der Schütze, bei dem der Vogel fiel, der sollte
Schützenkönig sein.
Der erste Schützenvogel 1990
Letztendlich stand also zum Schützenfest der Schützenvogel nur auf einer einen
Meter hohen Stange in 50 Meter Entfernung. Den ersten Ehrenschuss gab der
Bürgermeister ab. Danach gaben sich alle Schützen redliche Mühe, den Vogel von
seiner kleinen Stange zu schießen. Es gelang nicht, obwohl er schon völlig
durchlöchert war. Er fiel einfach nicht runter. Kurzentschlossen nahm unser
Vorsitzender seine Handsäge, unterbrach das Königschießen, lief zum Vogel und
machte sich irgendwie an ihm zu schaffen. Das ganze passierte zweimal und alle
Schützen überlegten, was ist eigentlich wenn der Vogel dabei fällt, wäre dann
unser erster Schützenkönig ein Sägekönig gewesen? Aber zum Glück ging alles gut.
Nach genau 261 Schüssen fiel der Vogel und unserem Schützenbruder Michael Trost
kam die Ehre zu, 1990 der erste Heiligenstädter Schützenkönig nach über 46
Jahren zu werden.
Unter dem Beifall vieler Zuschauer wurde ihm auf der
Wilhelmstraße vom Bürgermeister die Schützenkette umgehängt. Diese erste Kette,
ganz aus Messing, wurde von der Solidor AG Heiligenstadt gestiftet und vom
Graveurmeister Grebenstein angefertigt.
Mit diesem ersten kleinen Schützenfest war der neugegründete Verein das erste mal in der Öffentlichkeit
in Erscheinung getreten.
Der erste Schützenkönig 1990: Michael Trost
Der Vorstand knüpfte in der Folgezeit vielfältige Kontakte zu benachbarten
Schützenvereinigungen in den alten Bundesländern. Insbesondere zum
Schützenverein "St. Georgius" aus unserer Partnerstadt Heiden entstand eine
anfänglich sehr enge Verbindung. Nach einem erlebnisreichen Besuch der
Heiligenstädter Schützen in Heiden, nahm bereits an unserem ersten Schützenfest
1990 eine Abordnung des Heidener Schützenvereins mit seinem Vorsitzenden Franz
Nienhoff teil. Die Durchführung des Vogelschießens, wie es ab dem Schützenfest
1991 in Heiligenstadt erfolgt, wurde in seiner Art und Weise an Heiden
angelehnt. Erinnert sei besonders daran, dass der Schützenvogel 1991 vom
Schützenbruder Karl Kemper aus Heiden angefertigt wurde.
Das die jährliche "Geburt" des Schützenvogels natürlich nicht immer in Heiden geschehen konnte,
war klar. Unser jetziger Ehrenvorsitzender, Schützenoberst a.D. Dieter
Breitenbach fertigt daher seit 1992 den Schützenvogel in sorgfältiger Handarbeit
an.
Dieter Breitenbach mit dem neuen Schützenvogel 1992
Bei diesen Besuchen befreundeter Vereine wurde natürlich auch eines deutlich, zu
einem richtigen Schützenverein gehört auch eine ordentliche Schützenuniform. Nun
war 1990 der Begriff "Schützenuniform" etwas anders geprägt als heute. Also
sprach man in den entsprechenden Veröffentlichungen immer von einer
"Vereinstracht", die nun endlich angeschafft werden sollte. Im Februar 1991
wurde durch Herrn Schneidermeister Fred Oesterheld die Vereinstracht dem auf
inzwischen 60 Mitglieder angewachsenen Schützenverein vorgestellt und fand
Zustimmung.
Teilnahme der Schützen am Kirmeszug der Heimensteiner 1991
Zum Pfingstwochenende 1991 war es dann soweit. Erstmalig seit über 46 Jahren war
der Schützenverein in einem Erscheinungsbild zu sehen, das noch viele ältere
Heiligenstädter kannten. Mit Schützenjacke, Schützenhut und Seitengewehr nahmen
die Mitglieder am großen Festumzug der Heimensteiner Kirmes teil. Das Bemühen
der Schützen, ihre frühere kulturelle Bedeutung im Leben der Stadt
wiederzufinden, hatte erste Früchte getragen.
Natürlich war es für manches Mitglied auch eine neue Erfahrung mit einer Schützenuniform das erste mal allein
durch die Stadt zum vereinbarten Stellplatz am Heimenstein zu gehen. Zu
ungewohnt war ein uniformierter Schütze noch im allgemeinen Stadtbild. Und so
mancher Schützenbruder ist wohl damals auch auf Umwegen und Seitengassen zum
Treffpunkt gekommen. Wenn man daran denkt, das heute die Schützengesellschaft
bei allen städtischen Festlichkeiten mit ihren Uniformen einfach dazu gehört,
kann man sich doch eines kleinen Lächelns nicht erwehren.
Traditionell entstand von Anfang an ebenfalls eine dauerhafte und
freundschaftliche Verbindung zur Duderstädter Schützengesellschaft und ihrem
Vorsitzenden Ernst-Wilhelm Werner. Ihm sind sehr viele kluge Ratschläge zum
Aufbau und zur Organisation des Heiligenstädter Schützenwesens zu verdanken.
Im März 1991 war zum ersten Mal der Vorstand des Heiligenstädter Schützenvereins
dort zu Gast. Für diesen Kontakt hatte sich besonders Schützenbruder Rudi Reiter
aus Duderstadt, ein gebürtiger Westhäuser, eingesetzt. Im Mittelpunkt standen
Fragen des Auflebens alter gemeinsamer Traditionen. Es wurde z.B. daran
erinnert, das sich viele Heiligenstädter auf Duderstädter Schützenfesten als
Silberkönige auszeichnen konnten. Die Wiederaufnahme des traditionelles
Pokalschießens der Eichsfelder Städte wurde angeregt und die Heiligenstädter
Schützen wurden erstmalig zur Teilnahme am Ausmarsch zum Duderstädter Schützenfest
im Juli 1991 eingeladen.
Auch wurde über die im Besitz des Duderstädter
Landschaft-, Heimat- und Verkehrsverbandes sich befindenden Schützenketten der
alten Heiligenstädter Schützengesellschaft gesprochen. Diese Ketten wurden auf
einer Auktion vorausschauend käuflich erworben, um sie dem Eichsfelder
Schützenwesen zukünftig zu erhalten. Schon während dieses Treffens wurde eine
spätere Übergabe unter bestimmten Bedingungen an die Heiligenstädter Schützen
nicht ausgeschlossen.
Im Zusammenhang mit diesen vielfältigen Kontakte mit der Duderstädter
Schützengesellschaft wurde eins klar: auch das Schützenwesen der Stadt
Heiligenstadt beruht auf einer langen und alten Tradition. Dadurch, das die
Heiligenstädter Schützen jetzt immer mehr in das öffentliche Bewusstsein ihrer
Stadt rückten, erinnerten sich gerade viele ältere Bürger noch an diese
Traditionen. Viele Erinnerungsstücke, Andenken und alte Fotos kamen jetzt zum
Vorschein. Oft verstaubt, viele aber auch über die ganzen Jahre liebevoll
gepflegt. Besonders unsere Ehrenmitglieder Karl Schneegans, Eduard Kindler und
Rudolf Poppe konnten mit ihren Erinnerungen die Geschichte der
Schützengesellschaft vor dem zweiten Weltkrieg erhellen.
Dankenswerter Weise übergab uns 1991 Schützenbruder Rudi Reiter eine Original-Festschrift zur 600-
Jahrfeier der Heiligenstädter Schützengesellschaft aus dem Jahre 1905 aus seinem
eigenen Besitz. Durch das Engagement unserer Stadtväter konnte sie dann in einer
kleinen Reprintausgabe erscheinen.
Das alles veranlasste den Vorstand zu der Überlegung den Vereinsnamen des Schützenvereins zu verändern. Auf der
Mitgliederversammlung am 06.08.1991 wurde daher der Beschluss gefasst, den
Vereinsnamen in "Schützengesellschaft von 1305 Heiligenstadt" zu verändern.
Damit stellte sich der Verein auch äußerlich in die Traditionslinie der alten
Heiligenstädter Schützengesellschaft.
Im Jahre 1992 konnten sich die Mitglieder der Schützengesellschaft über ein besonderes
Ereignis freuen. Aus Duderstadt waren zwölf alte Schützenketten nach fast 50
Jahren in den Besitz der Stadt Heiligenstadt zurückgekehrt.
Durch den Bürgermeister wurden der Vorsitzende der Schützengesellschaft Dieter Breitenbach
und der Rendant Harald Kraft überraschend gebeten, sich am Abend des
26.08.1991 bei Frau Renate Rost am Kasseler Tor einzufinden. Das Erstaunen war
groß, als dort Frau Rost insgesamt zehn dieser in schwerem, aus überwiegend
900er Silber gehaltenen Ketten präsentierte und auch das glückliche Ende einer
langen Odyssee beschrieb: Georg Lurch, ihr Vater, hatte als letzter
Schützenkönig die Schützenketten über die Wirren des zweiten Weltkrieges hinaus
gerettet. Zunächst waren die Ketten im Heimatmuseum, dann in der Sparkasse
aufbewahrt worden. "Als die Russen einmarschierten und die Öffnung der
Kassentresore verlangten, hatte mein Vater keine Ruhe mehr und holte die Ketten
nach Hause, versteckte sie zunächst im Keller und dann in Hutschachteln in
unserem Warenlager", erzählte Frau Rost. Nach dem Tode ihres Vaters, 1961, lag
nun die Verantwortung bei ihr. Sie fasste den Entschluss, die zehn
Schützenketten nach Duderstadt zu bringen. Bei ihren sogenannten Rentnerreisen
band sie sich zuerst jeweils nur eine, zum Schluss dann, 1988, mehrere um den
Körper und schaffte sie so über die Grenze, immer in Angst vor einer
Leibesvisitation.
Der Duderstädter Landschaft-, Heimat- und Verkehrsverband
hielt dann letztlich die Hand über die Schützenketten, die all die Jahre im
Tresor der Duderstädter Sparkasse lagen. Nun endlich, 1992, kamen die 10
Schützenketten wohlbehalten zurück. Die Schützenketten wurden zum Bundestreffen
der Eichsfelder Vereine 1992 in Heiligenstadt der Öffentlichkeit präsentiert. Zu
diesem Anlass kamen ebenfalls die kleine und die große Königskette der
Schützengesellschaft wieder nach Heiligenstadt zurück.
Die beiden Königsketten waren ebenfalls nach dem Tod von Georg Lurch nach Westdeutschland gelangt. Dem
o.g. Duderstädter LHV ist es zu verdanken, dass sie nicht bei einer Auktion in
Freiburg im Breisgau auf Nimmerwiedersehen verschwanden. Er kaufte die
Königsketten Anfang der 80er Jahre auf.
Heute stellen diese zwölf alten Schützenketten ein wichtiges Kleinod für die Stadt und ihre Schützengesellschaft
dar. Bei wichtigen Anlässen werden sie stolz von den Schützen im Festumzug
getragen und gezeigt.
Heimensteiner Kirmes 1995
Diese historischen Schützenketten beinhalten viele Informationen und
Verbindungen zur Stadtgeschichte und zur Geschichte bekannter alteingesessener
Heiligenstädter Familien, was sie auch ungemein interessant macht und ihren
ideellen Wert für die Stadt bestimmt. Nachdem die 12 Schützenketten der Stadt
1992 übergeben wurden, war es an der Zeit, diese wertvollen und schönen Ketten
zu erfassen und zu katalogisieren. Nach altem Herkommen haben die jeweiligen
Schützenkönige als auch die Sieger an den anderen Ständen, an die Schützenkette
eine Medaille mit dem Namenszug und der Jahresangabe auf ihre Kosten anbringen
lassen. Die älteste Medaille stammt aus dem Jahr 1678 (Stiftungsmedaille an der
Schützenkette - Stand Nr. 4) und die älteste Gravur auf einer Medaille lautet
"H. Hoffmann 1850" (Große Schützenkette - Schützenkönig).
Das diese schwierige fachmännische Erfassung in vergleichsweise kurzer Zeit vorgelegt werden konnte,
verdanken wir der Ersten Beigeordneten Frau Heidemarie Borm und dem Stadtrat
Herrn Heinz Scholle. Diese interessante Publikation erschien 1999 in einer auf
15 Stück begrenzten, dafür aber exzellent aufgemachten Auflage: "Die
historischen Schützenketten der Heiligenstädter Schützengesellschaft von 1305".
1994 hat die Stadt Heiligenstadt auf Initiative ihres Bürgermeisters eine
silberne Schützenkette für das inzwischen wieder fest eingerichtete
traditionelle Eichsfelder Städteschießen gestiftet. Die Kette zeigt die in
Silber eingelassenen Wappen der fünf Eichsfelder Städte Heiligenstadt,
Duderstadt, Worbis, Dingelstädt und Leinefelde. Zur feierlichen Proklamation des
Siegers wurde sie 1994 erstmalig in Duderstadt verliehen.
Bürgermeister Bernd Beck präsentiert die Silberkette des Städteschießens in Duderstadt
Hatte die Odyssee der Ketten ein Ende, so bleibt es um die alte Schützenfahne
weiterhin ein Rätsel. Die alte, zerschlissene Fahne war Anfang des 20.
Jahrhunderts von einer Tante von Frau Renate Rost in Holland neu bestickt
worden.
Es ist als wahrscheinlich anzunehmen, das sie zum Kriegsende, als das
Schützenhaus von den heranrückenden Besatzungstruppen geplündert wurde, unter
diesen einen neuen Besitzer gefunden hat. So wird sie wohl heute noch in einem
Schrank in Amerika oder Russland liegen und als alte Kriegstrophäe bestaunt
werden.
Die Teilnahme der Schützengesellschaft an den Ausmärschen zu den Schützenfesten
und anderen Feierlichkeiten der benachbarten Städte machte natürlich auch eines
deutlich: Vor eine ordentliche Schützenkompanie gehört auch die Vereinsfahne.
1993 fasste der Vorstand daher den Beschluss, eine solide Fahne für die
Schützengesellschaft anfertigen zu lassen. Der besondere Dank gilt hier der
Stadt Heiligenstadt und dem Schützenbruder Arno Herrmann. Ohne deren große
finanzielle Unterstützung wäre die Anschaffung einer solch prachtvollen Fahne
damals nicht möglich gewesen. Letztendlich bekam die Firma Stickerei Hagemann
aus Erfurt den Zuschlag die Fahne aus schwerem Tuch mit den entsprechend
gestickten Motiven herzustellen.
Die Vorderseite der Fahne ist dreifarbig gestaltet: blau-weiß, also die
Stadtfarben, gemeinsam mit dem traditionellen Schützengrün. Sinngemäß soll
damit die jahrhundertealte Verbundenheit der Schützengesellschaft mit dem
Gemeinwohl unserer Stadt ausgedrückt werden. Das in der Mitte sich befindende
Heiligenstädter Stadtwappen mit goldenem Eichenlaub wird umrahmt vom Schriftzug
"Schützengesellschaft von 1305 Heiligenstadt". Die vier Ecken sind mit
Eichenlaub eingefasst.
Der Mittelpunkt der dunkelgrünen Rückseite bildet das Vereinswappen, der stolze,
sich ein Gewehr greifende Adler mit einer Schießscheibe. Umrahmt wird dieses
Wappen durch den alten Spruch "Sicheres Auge, ruhig Blut, sind des Schützen
höchstes Gut". Am 05.06.1994 wurde die neue Vereinsfahne in der Neustädter
Kirche St. Ägidien feierlich geweiht.
Nach der Fahnenweihe 1994 vor der Neustädter Kirche St. Ägidien
Rückblickend kann man sagen, dass mit der Anschaffung der Vereinsfahne 1994 die
Wiedereinrichtung der Heiligenstädter Schützengesellschaft, beginnend 1990,
abgeschlossen war.
Anlässlich der Fahnenweihe wurde unser Bürgermeister Bernd
Beck für sein großes persönliches Engagement für die Wiedereinrichtung des
Heiligenstädter Schießsports mit dem Großen Verdienstkreuz der
Schützengesellschaft ausgezeichnet.
Es lag jetzt in der Hand der Mitglieder und natürlich des Vorstandes auf dieses
organisatorische Fundament die Förderung des Schießsportes in Heiligenstadt
weiter aufzubauen. Die vergangenen 15 Jahre zeigen, dass wir unsere damals
gesteckten Ziele erreicht haben. Die Schützengesellschaft hat sich zu einem
stabilen Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens in unserer Stadt entwickelt.
Die Schießsportanlage im Pferdebachtal wurde saniert und rekonstruiert. Damit
wird sie modernen Wettkampf- und Trainingsbedingungen gerecht. Unsere
Leistungsschützen reden im Schießsport des Landes Thüringen ein gehöriges
Wörtchen mit. Mit über 130 Mitgliedern verfügt die Schützengesellschaft über
eine breite Basis, den Schießsport auch in Zukunft in Heiligenstadt zu sichern.
Das gemeinsame Ziel besteht darin, das Erreichte zu erhalten und zu pflegen. Die
Verbindung von traditioneller Brauchtumspflege und modernem Schießsport, also
von Freude und Geselligkeit einerseits, sowie Selbstdisziplin und Verantwortung
andererseits, sind für viele Bürger ein interessantes Feld der
Freizeitbetätigung.
Damit hat die Schützengesellschaft in Heiligenstadt wieder einen Stellenwert erreicht, den sie auf Grund ihrer
siebenhundertjährigen wechselvollen Geschichte verdient.
Die Schützenkompanie der Schützengesellschaft im Jahr 2004